„Freie“ Mitarbeiter in der Lichttechnik testen einen neuen Effekt aus … © Engelmann Promotion
Scheinselbstständigkeit betrifft viele von uns ganz direkt. Ob du als Veranstalter, Technikdienstleister oder Stagehand unterwegs bist: Sobald du jemanden beauftragst, der eigentlich wie ein Angestellter im Betrieb mitmischt, kann’s kritisch werden …
Entscheidend sind immer zwei Dinge:
- ist die Person in deinen Betrieb eingebunden und
- arbeitet sie weisungsgebunden?
Es geht also um die Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer – und wie ihr zusammenarbeitet. Gerade in der Eventbranche betrifft das oft technische Dienstleistungen, Catering, Bar, Kasse, Tür oder Stagehands. Die DRV (Deutsche Rentenversicherung) prüft den Status des Beauftragten mit dem Ziel, sicherzustellen, dass für Versicherungspflichtige auch Sozialabgaben abgeführt werden.
Statusfeststellung – Was ist das eigentlich?
Die Statusfeststellung ist quasi der Beziehungs-Check zwischen dir und deinem Auftraggeber. Sie soll klären, ob wirklich ein selbständiges Auftragsverhältnis vorliegt oder ob es sich nicht doch um eine abhängige Beschäftigung handelt. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn der Auftragnehmer in den Betriebsablauf eingebunden ist oder Anweisungen bekommt. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kann so eine Prüfung sogar bis zu vier Jahre nach Auftragsende anstoßen – und das kann richtig teuer werden: Nachzahlungen bei den Sozialabgaben und eventuell sogar Strafen sind dann drin.
Besonders im Fokus stehen die Soloselbstständigen , aber auch Personengesellschaften und Ein-Personen-GmbH´s sind nicht ausgenommen. Es gibt seit 2003 keine faktischen oder objektiven Merkmale für Selbstständigkeit mehr, sondern nur eine Anreihung von Indizien und teilweise widersprüchlichem Richterrecht und Widersprüchen in den Rechtsgebieten (Sozialrecht versus Arbeitsrecht ).
Wie läuft so eine Prüfung ab?
Alle vier Jahre muss die DRV die Sozialabgaben von Unternehmen mit Angestellten prüfen. Dabei ist sie seit 2015 verpflichtet, auch die Künstlersozialabgaben zu prüfen. Um das tun zu können, werden die Konten auf Fremdleistungen gecheckt – also zum Beispiel, ob da Künstler oder Techniker als Selbstständige abgerechnet wurden. Taucht da ein Name auf, muss die DRV ein Statusfeststellungsverfahren starten. Dann flattern Fragebögen (hier ein zusammengefaßtes Pdf: C0031 + V0023) ins Haus. Verträge werden angefordert und am Ende entscheidet ein Prüfer – oft nach Bauchgefühl und ohne viel Branchenkenntnis.
Es gibt keine festen Kriterien mehr, sondern nur eine Kette von Indizien. Das macht die Sache ziemlich unsicher für alle Beteiligten. Die DRV prüft, ob der Auftragnehmer in den Betrieb eingebunden ist und ob eine Weisungsgebundenheit vorliegt. Eine Einbindung kann zum Beispiel durch die Nutzung der Arbeitsmittel des Auftraggebers entstehen oder durch die „dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“.
Besonders tricky:
Es wird verglichen, wie sich in derselben Situation ein Angestellter verhalten würde. Kann der Prüfer keinen Unterschied erkennen, ist das für ihn ein Indiz für Scheinselbstständigkeit.
Das Verfahren dabei läuft komplett auf dem Papier ab, und die DRV verwendet oft Standardtexte, ohne auf individuelle Argumente einzugehen.
Eine mündliche Anhörung gibt’s erst im Widerspruchsverfahren vor Gericht – und das kann sich über Jahre hinziehen.
Wie kam es zu dieser Rechtslage?
Der Gesetzestext §7a SGB IV (Feststellung des Erwerbsstatus) existiert schon seit 1974, wurde aber immer wieder angepasst. 1999 gab´s noch einen Kriterienkatalog, der aber 2003 wieder gestrichen wurde. Seitdem gibt’s nur noch Einzelfallprüfungen, und die Kriterien wurden ziemlich schwammig.
2017 wurde im BGB der Arbeitnehmerbegriff neu definiert und die „Gesamtbetrachtung aller Umstände“ eingeführt. 2022 kamen noch ein paar Maßnahmen dazu, die das Verfahren vereinfachen und beschleunigen sollten – zum Beispiel die Möglichkeit einer mündlichen Anhörung im Widerspruchsverfahren.
Was genau ist das Ziel der Statusprüfung?
Eigentlich soll die Statusprüfung Menschen davor schützen, gegen ihren Willen in die Selbststständigkeit gedrängt zu werden, nur damit der Auftraggeber Sozialabgaben spart. Außerdem soll verhindert werden, dass der Mindestlohn unterlaufen wird oder prekäre Arbeitsverhältnisse entstehen. Doch weil die Regeln so schwammig sind, trifft es oft auch die Falschen – und das kann für beide Seiten richtig teuer und nervenaufreibend werden.
Die Praxis: Beispiele, die jeder kennt
- Beispiel 1: Der IT-Spezialist: Im April 2024 hat DHL alle Verträge mit freien IT-Spezialisten gekündigt – und zwar sowohl für laufende als auch für geplante Projekte.
- Grund: Die Rechtsunsicherheit rund um das Statusfeststellungsverfahren. Die Arbeit wurde kurzerhand ins Ausland verlagert, die Ergebnisse werden aber weiterhin in Deutschland genutzt. Die Wertschöpfung bleibt also nicht mehr hier, sondern wandert ab. Vodafone hat das übrigens schon 2017 gemacht.
- Beispiel 2: Die Honorarlehrkraft: Honorarlehrkräfte sind oft in den Schulbetrieb eingebunden – sie nehmen an Konferenzen teil, nutzen die Schulmaterialien und sind im Stundenplan fest eingeplant.
- Das Herrenberg-Urteil hat gezeigt: Wer so eng eingebunden ist, wird schnell als scheinselbstständig eingestuft. Anders sieht’s bei Physiotherapeuten in Kliniken aus – die gelten meist als selbstständig, weil sie nicht in den Betriebsablauf integriert sind. OP-Ärzte wiederum werden als scheinselbstständig eingestuft, weil sie für die Funktion des OPs „dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“ leisten.
- Beispiel 3: Der Meister in der Veranstaltungstechnik: Ein Meister für Veranstaltungstechnik ist laut Musterversammlungsstättenverordnung (MVStättV) für Veranstaltungen ab einer bestimmten Größe vorgeschrieben. Er muss unabhängig vom Betreiber oder Veranstalter Entscheidungen treffen. Nach der Einordnung der DRV gilt er aber als eingebunden, weil ohne ihn gar keine Veranstaltung stattfinden kann. Das ist ein klassischer Zielkonflikt zwischen Gesetz und Praxis.
Klassischer Zielkonflikt:
Der Meister in der Veranstaltungstechnik muss zwar jederzeit unabhängige Entscheidungen treffen, gilt jedoch als in den Arbeitsprozess eingebunden.
Weitere Praxisbeispiele aus dem Alltag
- Stuntleute: Sie tragen ein hohes Risiko, bestimmen selbst, wie ein Stunt ausgeführt wird, und bringen ihr eigenes Equipment mit. Trotzdem werden sie oft als scheinselbstständig eingestuft, weil sie im Drehplan des Auftraggebers auftauchen.
- Interim Manager: Sie springen in Krisensituationen ein, bringen Expertenwissen mit und arbeiten immer befristet. Sobald ihre Arbeitsweise in Teilaspekten der eines Festangestellten ähnelt, wird ihnen Scheinselbstständigkeit unterstellt.
- Notärzte: Fährt ein Notarzt mit dem eigenen Auto zum Einsatzort, gilt er als selbstständig. Wird er aber vom Auftraggeber gefahren, ist er es nicht mehr.
- Weihnachtsfeier: Sogar die Einladung zur Weihnachtsfeier kann als Indiz für eine Einbindung des Auftragnehmers in den Betrieb gewertet werden. Würde er jedoch Eintritt zahlen oder an der Theke abkassiert werden, wäre das anders.
Warum ist das alles so kompliziert?
Seit 2003 gibt es keine klaren Merkmale mehr, was Selbständigkeit eigentlich ausmacht. Alles basiert auf Indizien, die von Prüfer zu Prüfer unterschiedlich gewertet werden. Das sorgt für viel Unsicherheit – und führt dazu, dass manche Unternehmen lieber gar keine Selbständigen mehr beauftragen oder die Aufträge ins Ausland verlagern. Die Innovationskraft wandert ab, und die Zahl der Selbständigen in Deutschland sinkt seit Jahren. Der politische Wille ist nicht vorhanden, um diesen Missstand zu ändern.
Du kannst als Auftraggeber mit den besten Absichten, einem klaren Vertrag und sauberer Abgrenzung der Tätigkeit agieren – und trotzdem kann der Prüfer der DRV die Situation anders sehen und auf Scheinselbständigkeit entscheiden. Gegen so ein Urteil kannst du natürlich klagen, aber das dauert Jahre, kostet Nerven und Geld. Die Richter orientieren sich an vergangenen Urteilen und an den Rundschreiben der DRV .
Der Wille der Vertragspartner ist dabei übrigens egal. Auch die Höhe der Vergütung ist kein klares Kriterium: Was ist „deutlich über dem eines Angestellten“? 23 Euro pro Stunde für Dolmetscher oder 120 Euro für IT-Fachleute? Es gibt keine festen Leitlinien mehr, nur noch widersprüchliches Richterrecht.
Fazit: Was kannst du tun?
Um nicht in die Scheinselbständigkeitsfalle zu tappen, solltet ihr als Auftraggeber sowie Auftragnehmer immer darauf achten, dass die Zusammenarbeit klar geregelt ist und du den beauftragten Selbständigen möglichst eigenständig arbeiten lässt.
Dokumentiere die Abläufe und halte fest, wer wann welche Entscheidungen trifft. So kannst du im Ernstfall besser nachweisen, dass wirklich eine selbständige Tätigkeit vorliegt – und nicht doch ein verkapptes Angestelltenverhältnis. Am Ende zählt: Wer trifft die Entscheidungen und bestimmt über Zeit und Handeln? Das sollte immer klar dokumentiert sein. Trotzdem bleibt ein Restrisiko – und das macht die Beauftragung von Selbständigen in Deutschland leider zu einem echten Drahtseilakt.
Wer kann helfen?
Dein Berufsverband ist ein guter Ansprechpartner im Fall einer Prüfung. Ohne vorherige Beratung eines wirklich informierten Menschen vom Berufsverband oder eines Rechtsanwalts solltest du keine Fragebogen der DRV ausfüllen. Diese sind bewusst mit Formulierungen versehen, die dich zu eine ehrlichen, in der Sache aber nachteiligen Antwort verleiten, weil der Blickwinkel aus der Formulierung nicht klar wird.
Doch einen Rechtsanwalt wirst du dann in jedem Fall brauchen. Ohne geht es nicht. Ein Steuerberater kann dir hierbei nicht helfen. Wer das Problem hat, kann sich auch gerne an die Experten der ISDV wenden unter info(at)isdv.net. Die Erstberatung ist kostenlos.
Anhang
Wichtige Gesetze und Vorschriften
Gesetz/Vorschrift |
Kurzbeschreibung |
---|---|
§7a SozGesetzBuch (SGB) IV |
Regelt die Feststellung des Erwerbsstatus (selbständig oder abhängig beschäftigt). Die DRV kann auf Antrag oder von Amts wegen prüfen, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. |
§611a BürgerlichesGesetzBuch (BGB) |
Definiert den Arbeitsvertrag und damit, wer als Arbeitnehmer gilt. Entscheidend ist die „Gesamtbetrachtung aller Umstände“.
|
§28p SGB IV |
Regelt die regelmäßige Prüfung der Sozialversicherungsabgaben durch die DRV, inklusive der Prüfung von Fremdleistungen. |
KünstlerSozialversicherungsGesetz (KSvG) |
Sichert selbständigen Künstlern und Publizisten den Zugang zur Sozialversicherung, verpflichtet aber auch Auftraggeber zur Abgabe. |
MusterVersammlungsstättenVerordnung (MVstättV) |
Regelt u.a. die Pflicht zur Bestellung eines Meisters für Veranstaltungstechnik bei größeren Events. |
Herrenberg-Urteil |
Präzedenzfall zur Einbindung von Honorarlehrkräften in den Schulbetrieb und deren Status als Scheinselbstständige. |
Kriterienkatalog 1999 (außer Kraft) |
Früherer Katalog zur Abgrenzung von Selbständigkeit und Scheinselbstständigkeit, 2003 gestrichen. |
Rundschreiben der DRV |
Interne Auslegungshilfen für Prüfer, die aber keine Gesetzeskraft haben, aber in der Praxis oft maßgeblich sind. |
Was ist ein Soloselbstständiger?
Ein Soloselbstständiger ist eine Person, die eine selbstständige Tätigkeit ausübt, ohne eigene Mitarbeiter zu beschäftigen. Das bedeutet, sie arbeitet auf eigenes unternehmerisches Risiko, ist nicht weisungsgebunden wie ein Angestellter und trägt selbst die Verantwortung für ihre soziale Absicherung (z.B. Kranken- und Rentenversicherung).
Typische Beispiele sind freiberufliche Tätigkeiten wie Grafiker, Programmierer oder Musiklehrer sowie gewerbliche Tätigkeiten (z.B. Handwerker, Berater) oder auch Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft.
Kernmerkmale eines Soloselbstständigen
- Keine eigenen Angestellten (gelegentliche Unterstützung durch Familienangehörige ist möglich, solange diese nicht als Beschäftigte zählen).
- Selbständige Ausübung einer freiberuflichen oder gewerblichen Tätigkeit.
- Eigenverantwortliches wirtschaftliches Handeln und unternehmerisches Risiko.
- Keine Weisungsgebundenheit gegenüber einem Auftraggeber = Abgrenzung zur Scheinselbstständigkeit.
- Die Tätigkeit kann als Haupterwerb oder Nebenerwerb ausgeübt werden.
Wann ist man nicht mehr Soloselbständig? Eine Abgrenzung
Du verlässt den Status eines Soloselbständigen, wenn eine oder mehrere der folgenden Bedingungen zutreffen:
- Beschäftigung von Mitarbeitern: Sobald du Angestellte beschäftigst, bist du kein Soloselbstständiger mehr. Eine Ausnahme gilt, wenn die Summe aller Beschäftigten (einschließlich Minijobs und Teilzeitkräfte) nicht mehr als ein Vollzeitäquivalent beträgt – dann kannst du unter bestimmten Förderprogrammen noch als soloselbständig gelten.
- Abhängigkeit von einem Auftraggeber: Wenn du im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig bist und wirtschaftlich von diesem abhängig bist, besteht die Gefahr der Scheinselbstständigkeit. Dann bist du formal zwar selbständig, aber rechtlich könnte dein Status als abhängig Beschäftigter eingestuft werden.
- Mitgesellschafter mit maßgeblicher Beteiligung: In Kapitalgesellschaften giltst du nur dann als soloselbständig, wenn du entweder 100% der Anteile hältst und mindestens 20 Stunden pro Woche arbeitest, oder bei mehreren Gesellschaftern mindestens 25% der Anteile und ebenfalls mindestens 20 Stunden pro Woche tätig bist.
- Genossenschaften: Als Mitglied einer Genossenschaft bist du soloselbständig, wenn du mindestens 20 Stunden pro Woche arbeitest und die Genossenschaft insgesamt nicht mehr als zehn Beschäftigte (Vollzeitäquivalent) hat, wobei Nichtmitglieder maximal ein Vollzeitäquivalent ausmachen dürfen.
Soloselbstständigkeit – Kriterien und Abgrenzung – Übersichtstabelle
Kriterium |
Soloselbständig |
Nicht mehr soloselbständig |
---|---|---|
Angestellte |
Keine |
Mindestens ein Vollzeitäquivalent |
Auftraggeber |
Mehrere, unabhängig voneinander |
Im Wesentlichen ein Auftraggeber (Scheinselbständigkeit möglich) |
Gesellschaftsform |
Einzelunternehmen, 100% Anteil an Ein-Personen-GmbH/AG, mind. 25% bei Mehrpersonen-GmbH/AG, mind. 20 Std./Woche |
Geringerer Anteil, weniger als 20 Std./Woche |
Genossenschaft |
Mitglied, mind. 20 Std./Woche, max. 10 Beschäftigte (Vollzeitäquivalent) |
Mehr als 10 Beschäftigte, weniger als 20 Std./Woche |
Unternehmerisches Risiko |
Eigenes Risiko |
Kein eigenes Risiko (abhängig Beschäftigter) |
Zum Schluss
Soloselbstständige sind selbstständig tätige Personen ohne eigene Angestellte, die eigenverantwortlich und unabhängig arbeiten. Sie verlieren diesen Status, wenn sie Mitarbeiter beschäftigen deren Arbeitszeit über die Grenze eines Vollzeitäquivalents hinausgehen. Auch wenn sie überwiegend für einen Auftraggeber arbeiten, befinden sie sich in einer Scheinselbstständigkeit, auch wenn sie in einer Gesellschaftsform tätig sind, die nicht den genannten Beteiligungs- und Arbeitszeitkriterien entspricht …
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