Big Data – KI / © Pixaby
Die Hitmaschine
Die Branche der Talentsucher in der Musikindustrie hat Tradition. Mit den sogenannten “Artists & Repertoire Managern” wurde aus dem anfangs noch beschaulichen Musikbusiness eine global umspannende multinationale Großindustrie. Doch mit Beginn der Digitalisierung drohte es den Labels das Geschäft zu verhageln. Lest hier welche neuen Tricks die Konzerne drauf haben und warum sie heute soviel verdienen wie nie zuvor.
Er ist in die Geschichte eingegangen als der Mann, der die Beatles nicht unter Vertrag nehmen wollte – Dick Rowe. Ein tragischer Irrtum. Doch zu seinem Glück konnte er diesen Fehlschluss wenig später wieder glattbügeln, als er Die Stones unter Vertrag nahm. Er war Talentsucher für das britische Plattenlabel Decca. Die Vier aus Liverpool hielt er jedoch nicht für erfolgversprechend – welch ein Irrtum …
„Gitarrenbands sind immer weniger gefragt” soll er auch gesagt haben – damals – 1962. Heute wissen wir: Der Mann lag krass daneben. Es ist schon ein Lotteriespiel, Talente zu entdecken. Klar, ein gutes Näschen hilft, doch garantiert es noch lange nicht den Erfolg.
Artists & Repertoire
A&R (Artists & Repertoire) nennt sich die Branche der Talentsucher in der Musikindustrie. A&R-Manager sind natürlich keine Auguren. Sie verlassen sich mehr oder minder erfolgreich auf ihr gutes Näschen, doch KnowHow, wie die Musikindustrie funktioniert ist hier genauso wichtig. Giorgio Moroder soll in den 80zigern mal gesagt haben: “Ich kann auch den größten Blödsinn in die Charts bringen!” und baute Sigue Sigue Sputnik strategisch auf und platzierte sie tatsächlich eine ganze Weile in den Top Ten. Es war die ausklingende Punkära in der dieser Punksong vielleicht gerade richtig kam? Oder hatte war es doch eher dieses erfolgreiche Näschen, der Giorgio?
Sie sind ein bisschen wie eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung einer großen Produktionsfirma. Hochaufmerksame “Checker” mit dem Riecher für Geld, Talent und neue Trends. Und sie wissen genau wie man die sensiblen Künstlerseelen motiviert.
Sie schrieben Musikgeschichte, Entdecker wie Sam Phillips , der das Talent von Elvis Presley, Johnny Cash und Roy Orbison erkannte und mit ihnen Riesenerfolge feierte. Oder Clive Davis , “der Mann mit den goldenen Ohren”. Er entdeckte Künstlerinnen wie Janis Joplin oder Alicia Keys .
Die “neuen” Medien
Mit Beginn des neuen Jahrtausends jedoch stellten die Kollegen der A&R -Branche allmählich fest, dass ihr Nachwuchs sich jetzt lieber im Internet entdecken läßt. Das ist einfacher und kostengünstiger und die Blasen an den Füssen bei der Labelsuche bleiben aus.
Nicht mehr nur auf den Festivals und in den örtlichen Live-Clubs sind Bands heute zu finden, sondern immer öfter auf YouTube, Soundcloud, Bandcamp, Mixcloud, Vimeo, Dailymotion oder Spotify und wie sie noch alle heißen, die Plattformen auf denen man seine Songs hochladen kann. Ed Sheeran oder Tash Sultana bauten ihre Fangemeinden zuerst im Netz auf – danach erst wurden die A&R Manager auf sie aufmerksam.
Vor vier Jahren gründete der ehemalige A&R Manager Conrad Withey in London ein Start-up namens Instrumental . Das Unternehmen will die Talentsuche im Digitalzeitalter neu erfinden. Mit der computergestützten Auswertung von Daten versuchen sie talentierten Nachwuchs und ihre Musik aufzuspüren. Geschickt programmierte Computer-Algorithmen und KI sollen Prognosen über das liefern, was demnächst einem Massenpublikum gefallen könnte. Es scheint das Start-up bastelt an einer Art Hitmaschine …
Zur Kundschaft von Instrumental zählen mittlerweile die Sub-Labels der Musikriesen. Universal, Sony, Warner und auch große Konzertveranstalter glauben so effizienter zu werden und nichts mehr zu verpassen. Mit einem “digitaler Filter”, der in einem Meer aus neuen Musikproduktionen die großen Fische raussiebt …
Big Data und KI
Die Industrie ist aufgewacht: Apple zum Beispiel kaufte 2018 Asaii, ein Analyseunternehmen, das auch daran arbeitet, mittels Datenauswertung kommerziell vielversprechende neue Musik aufzuspüren. Im Frühjahr kaufte Warner das Tech-Start-up Sodatone, das Softwaretools für eine digitale Talentsuche entwickelt.
Der Film “Moneyball” hat das was heute passiert, 2011 schon vorgedacht. Ein Computer-Nerd und Softwaregenie verhilft dem erfolglosen Profi-Baseball Team Oakland Athletics mit computergestützten Statistikverfahren zu neuen Erfolgen. Sie verpflichten Spieler, die nach dem klassischen Auswahlverfahren nicht hoch bewertet wurden und deshalb günstig zu haben sind. Nach anfänglichen Tiefschlägen wendet sich das Blatt und das neue Team spielt sich von Erfolg zu Erfolg. Im wirklichen Leben adaptierten später die Red Sox das Moneyball-System und konnten so zum ersten Mal seit 86 Jahren die “World Series” gewinnen.
In der Musikindustrie gaben Daten, wie die Verkaufszahlen der Plattenläden oder die Besucherzahlen von Konzerten, den Labels schon immer wertvolle Informationen. Doch erst der Siegeszug der zahlreichen Streamingdienste verhalf der Musikindustrie zu einer Explosion von verwertbaren Daten. Die Plattenfirmen wissen deshalb besser als jemals zuvor darüber Bescheid, welche Musik beim Publikum ankommt.
Die Streaming-Dienste
In Form einer digitalen Flatrate bieten die Streamingdienste ihre Musik an. Gegen eine monatliche Gebühr können die Abonnenten unbegrenzt die Inhalte der vielen Musiklabels hören. Wer kostenlos Musik hören will, muss Werbung in Kauf nehmen. Ein neuer Vertriebsweg für Musik ist hier entstanden, der CD Verkauf ging in der Folge immer weiter zurück. Das hat der Musikindustrie jedoch kaum geschadet, im Gegenteil: sie hat sich darauf eingestellt und verdient heute mehr als je zuvor.
Der Streaming-Weltmarktführer Spotify hat mittlerweile mehr als 190 Millionen aktive Nutzer. Tendenz: wachsend. Etwa 40 Millionen Musikstücke stehen zur Verfügung. „Jeden Monat werden auf den Streaming-Plattformen zwischen 800.000 und 1,5 Millionen neue Stücke hochgeladen”, verät uns ein Branchenexperte des britischen Beratungshauses Midia Research .
Es hat schon etwas inflationäres. Früher gab es monatlich nur ein paar tausend Neuveröffentlichungen. Doch noch nie war es so günstig Musik zu veröffentlichen – im World Wide Web – eine gewaltige hungrige Uploadmaschine.
Streaming & uploading – täglich millionenfach … / © Adobe
Die Musiker bringen heute sehr viel schneller neues Material auf den Markt. Auch kleinere Portale wachsen: Soundcloud, ursprünglich ein Online-Musikdienst zum Austausch und zur Distribution von Audiodateien, dient jetzt auch als Kooperations- und Werbeplattform für Musiker.
Drake, der kanadische Hip-Hop-Star, hatte mehr als 8,2 Milliarden Streams 2018 – auch weil er seine hungrigen Fans ständig mit neuen Tracks versorgt. Allein 2018 waren es neun Songs die er veröffentlichte. Sein aktuelles Album “Scorpion” hat 25 Stücke. Diese Kreativität zahlt sich aus, Drake ist der meistgehörte Musiker auf Spotify .
Doch ein großer Teil der hochgeladenen Stücke auf Spotify und anderen Plattformen sind gerade die unbekannten Musiker, die auf Spotify die große Bühne suchen. Und diese Gruppe ist für die digitalen Scouts von Instrumental interessant. Die neuen Suchsoftwares durchforsten die Streamportale nach besonders beliebten Stückesammlungen. Diese Playlists, die die Nutzer untereinander tauschen, spielen in der schönen neuen Welt des Musikstreamings die zentrale Rolle.
Die Playlists lösen zunehmend das klassische Album ab: Denn auf Spotify gibt es zur Zeit kapp 13.000 beliebte Playlists, denen sich viele Hörer anschliessen und der Trend ist ansteigend. In diesen Liedsammlungen finden sich nun ca. 450.000 Musiker, von denen etwa die Hälfte keinen Labelvertrag hat.
Digitale A&R-Scouts
Ein Wahnsinns-Repertoire an Talenten mit vielversprechenden und kommerziell verwertbarem Material! Mit weiteren individuell einstellbaren Parametern versuchen die Computerprogramme der digitalen A&R-Scouts die immer noch große Gruppe talentierter Kreativer weiter einzugrenzen und so die Stars von morgen heraus zu filtern.
Ein Traum der Musikindustrie scheint wahr zu werden. Neue Talente zu finden und zu fördern war bisher mit großen Kosten und Aufwand verbunden. Das Risiko des Scheiterns hing immer über den Köpfen, denn vielleicht Einer von Vieren schafft es und wird erfolgreich. In manchen Musikgenres ist die Erfolgsquote noch deutlich schlechter.
Hier liegt das Einsparpotenzial, die Branche spürt mit intelligenter Datenanalyse zielsicher potentielle Stars aus Rock und Pop auf.
Eine gute Frage
Sind Big Data und Künstliche Intelligenz die Zukunft der Talentsuche in der Musikindustrie? Es gibt Zweifler. Hartwig Masuch , Chef der Bertelsmann-Musiksparte BMG , meint „Computergestütztes A&R wird tendenziell dazu führen, dass viele zu sehr ähnlichen Ergebnissen bei der Suche nach Nachwuchsmusikern kommen.
Zeigt uns die Geschichte der Popmusik doch, dass sich immer wieder Trends abseits des Mainstreams entwickeln, die so niemand auf dem Schirm hatte, wie es sich beispielsweise beim Punk Ende der 70ziger und der NDW Anfang der 80ziger gezeigt hat.
Very emotional – originelle, neuartige Produktionen trotz Spotify & Co.? / © Cattarius/Pixaby
Die Software der Streamingdienste lenken und prägen zunehmend den Musikkonsum, doch die musikalische Vielfalt bleibt dabei auf der Strecke. „Wir glauben wir sind es, die auf Spotify neue Musik entdecken, aber tatsächlich werden wir von den Algorithmen in eine bestimmte Richtung geschoben.” Die “Hitmaschine” produziert nicht nur das Musikangebot. Sie schafft auch ihre eigene Nachfrage.
„Musik ist spirituell. Das Musikgeschäft ist es nicht.“ Ein immerwährender wahrer Satz von Van Morrison in der sechziger Jahren der vergangenen Jahrhunderts.